Wanderer Abraham

Seit den 1950er Jahren widmete sich Kirchner biblischen Geschichten und Figuren, mit denen er über das Religiöse hinaus humane Botschaften an die Menschen richtete. Mit Wanderer Abraham bindet Kirchner sein vielfach verwendetes Motiv des Wanderers an eine zentrale Figur dreier Weltreligionen. Im alten Testament führt der umherziehende Viehzüchter Abraham sein Volk auf Gottes Geheiß über 1500 Kilometer vom Golf bis fast nach Ägypten. Und auch im Islam gilt Ibrahim als wichtiger Prophet, auf den u.a. die Wallfahrt nach Mekka zurückgeht. Kirchner stellt Abraham in einer den ganzen Körper verhüllenden Kleidung dar, wie sie von Wüstenpilgern und Nomaden getragen werden. Die drei aus dem Gewand hervorragenden Füße, mit denen Kirchner das Motiv der drei Weltreligionen erneut aufgreift, vermitteln den Eindruck des Un­terwegsseins. Das unter der Kapuze verdeckte Gesicht wirft nur einen hastigen Blick zur Seite, bevor der Wanderer Abraham weiter seines Weges zieht. Nicht nur im religiösen, ebenso im profanen Sinne einer Wanderung des Menschen durch sein Leben kann die Sockelinschrift gedeutet werden, die Kirchner den »Confessiones«, autobiografischen Betrachtungen und Beschreibungen der Irrwege von Augustinus, die um das Jahr 400 entstanden, sinngemäß entlehnte und die zwischen Schuld- und Glaubensbekenntnis im Leben des Kirchenlehrers schwanken.